Zur Diagnosestellung von Polyneuropathien (PNP) stehen neben der ausführlichen Anamneseerhebung und der klinisch-neurologischen Untersuchung in erster Linie die Elektroneurografie und Elektromyografie zur Verfügung. Der hochauflösende Nervenultraschall hat als weiteres Diagnostikum bei PNP in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Diese nicht-invasive und nebenwirkungsfreie Untersuchungstechnik eröffnet zum klinischen Befund und den Ergebnissen der Nervenleitungsstudien eine weitere diagnostische Dimension. Der Nervenultraschall erlaubt die sonomorphologische Beurteilung der peripheren Nerven und ihrer Umgebung und ermöglicht dadurch u. a. die Erkennung von Differenzialdiagnosen. Insbesondere bei negativen oder nicht eindeutigen elektroneurografischen Untersuchungsergebnissen kann der Befund des Nervenultraschalls wertvolle Zusatzinformationen geben. Hinzu kommt, dass mittels Nervenultraschall auch Abschnitte des peripheren Nervensystems untersucht werden können, die die neurografische Diagnostik nicht oder nur eingeschränkt erreichen kann, wie etwa die Nervenplexus und Spinalwurzeln. Wenn nach ausführlicher Diagnostik eine Nervenbiopsie zur Klärung der PNP Ursache notwendig wird, kann der hochauflösende Ultraschall bei der Auswahl einer geeigneten Biopsiestelle sehr hilfreich sein und somit die diagnostische Treffsicherheit erhöhen. Die Datenlage zur diagnostischen Wertigkeit des hochauflösenden Nervenultraschalls bei PNP wird stetig besser, wobei auch die Herausforderungen immer klarer werden, die in den nächsten Jahren angegangen und gelöst werden müssen. Die standardisierte Untersuchung großer, prospektiv rekrutierter, sowie klinisch und elektrophysiologisch gut charakterisierter Patientengruppen unter weitest gehender Ausschaltung möglicher konfundierender Einflussfaktoren wird in den kommenden Jahren entscheidend dazu beitragen, den hochauflösenden Nervenultraschall bei der PNP-Diagnostik weiter zu verankern.


HOCHAUFLÖSENDER ULTRASCHALL

Der Einsatz von Ultraschall hat sich in den letzten ca. 20 Jahren bei der Untersuchung der peripheren Nerven über den Plexus brachialis bis zu den zervikalen Nervenwurzeln immer weiter etabliert. Parallel zu dieser Entwicklung verbesserte sich auch die Leistungsfähigkeit der Ultraschallgeräte und ihrer Bildverarbeitungssoftware. Mittlerweile stehen hochauflösende Ultraschallsonden zur Verfügung, die mit einer durchschnittlichen Frequenzleistung von 12–20 MHz und mehr eine so hohe Bildqualität erreichen, dass nicht nur großkalibrige Nerven bis zur Faszikelstruktur analysiert und beurteilt werden können, sondern auch feine sensible und motorische Nervenendäste. Die dynamische Untersuchung im Quer- und Längsschnitt liefert wertvolle Informationen zur Morphologie des peripheren Nervensystems und des umgebenden Gewebes. Es können u. a. eine Kaliberzunahme im Sinne einer generalisierten oder fokalen Vergrößerung des Nervenquerschnitts (cross sectional area, CSA), Veränderungen der Nervenechogenität (echoarm – echoreich), Faszikelgröße (normal – ödematös aufgetrieben), Kontinuitätsunterbrechungen, neurale und extraneurale Raumforderungen, sowie mittels der Dopplerfunktion die Nervenvaskularisation beurteilt werden. Unter den zahlreichen möglichen Messparametern bei der quantitativen Analyse peripherer Nerven hat sich die CSA als am zuverlässigsten durchgesetzt und kann mithilfe der Gerätesoftware einfach ermittelt werden. Der gesunde periphere Nerv lässt sich im Querschnitt als Honigwaben-artige, rundlich-ovale, echoreiche Struktur mit punktförmig erscheinenden echoarmen Faszikeln darstellen, während er im Längsschnitt mit seinem echoarmen Endoneurium und echoreichen Perineurium ähnlich wie ein elektrisches Kabel aussieht . Domänen der Anwendung des Nervenultraschalls sind bspw. Kompressionssyndrome, traumatische Nervenläsionen, sowie Raumforderungen und Tumore; zudem ist die Ultraschallsteuerung bei verschiedenen Interventionen wie z. B. intramuskuläre Injektionen oder etwa in der Anästhesie sehr nützlich. Die systematische Untersuchung von PNP Patienten mittels Nervenultraschall entwickelte sich erst in den letzten Jahren.

HOCHAUFLÖSENDER ULTRASCHALL BEI PNP – DIE DATENLAGE

 

Bei der Untersuchung von Patienten mit Neuropathien mittels hochauflösendem Ultraschall ist die Datenlage hinsichtlich Ergebnissen, die an großen, prospektiv rekrutierten und verblindet untersuchten Studien- und Kontrollkohorten erhoben wurden, zwar noch spärlich, verbessert sich aber zunehmend . Während in früheren Studien überwiegend die Nerven der oberen Extremitäten untersucht wurden, weil sie sonografisch leichter zugänglich sind, werden in aktuellen Studien immer mehr auch die bei PNP grundsätzlich häufiger und stärker betroffenen Nerven der unteren Extremitäten, sowie die proximalen Abschnitte des peripheren Nervensystems, also Plexus und Nervenwurzeln analysiert. Zu beachten ist allerdings, dass aufgrund weitgehenden Mangels an national und international bindenden Standards in den jeweiligen Studien die untersuchten Nerven, die gewählten Messorte und auch die berichteten sonografischen Parameter sehr verschieden sind, was den aufgrund zahlreicher weiterer Einflussfaktoren ohnehin nur eingeschränkt möglichen Datenvergleich zwischen den Studien zusätzlich erschwert .


– die Einschränkungen

Auch wenn der Einsatz von hochauflösendem Nervenultraschall bei der Diagnostik von PNP in den letzten Jahren eine sehr positive Entwicklung genommen hat, sind die Probleme und Einschränkungen ebenfalls offensichtlich. Die größte Herausforderung bei der Anwendung des Nervenultraschalls und beim Datenvergleich ist die auf mehreren Ebenen fehlende Standardisierung. Mangels nationaler und internationaler Leitlinien gibt es bspw. kein einheitliches Vorgehen dazu, welche Nerven bzw. Nervenkombinationen und welche Nervenabschnitte bei definierten Fragestellungen untersucht werden sollten. Es fehlt Konsensus darüber, an welchen Landmarken quantitative Messungen vorzunehmen sind, welche Messungen genau durchgeführt werden sollten, bei welchen Geräteeinstellungen diese Messungen zu erfolgen haben, und wie sie zu dokumentieren sind. Diese Aspekte sind nicht nur beim klinischen Einsatz des Nervenultraschalls wichtig, sondern insbesondere auch dann, wenn es um den Vergleich von Daten aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Studien geht. Weiterhin zu berücksichtigen ist der Einsatz verschiedener Ultraschallgeräte mit unterschiedlich leistungsstarken Schallsonden, sowie die jeweils benutzte Software. All diese Aspekte können dazu beitragen, die zahlreichen vermeintlich diskrepanten Ergebnisse in der derzeitigen Literatur zum Thema hochauflösender Nervenultraschall bei PNP zu erklären. Hinzu kommen die Anwendung unterschiedlicher Diagnosekriterien bei der Patientenrekrutierung sowie die oft fehlende Mituntersuchung einer gesunden Kontrollpopulation bei zudem häufig sehr niedrigen Fallzahlen. Die Reproduktion der Messergebnisse sowie die verblindete Datenauswertung sind weitere wesentliche Aspekte, die im Sinne der Vergleichbarkeit und Datenqualität in künftigen Studien dringend berücksichtigt werden müssen. Wie bei jeder Untersuchungstechnik spielt auch beim Nervenultraschall die Untersuchererfahrung eine entscheidende Rolle. Regelmäßige Übung und eine curriculare Ausbildung (http://www.degum.de/fileadmin/dokumente/sektionen/neurologie/richtlinien/AusbildungskurrikulumMNUSVers2010.pdf)

sichern die Basis dieser grundsätzlich einfachen Untersuchungsmethode – für die klinische Anwendung wie auch für wissenschaftliche Studien. Es ist wichtig die eigenen Grenzen und auch die Grenzen des eigenen Ultraschallgerätes zu kennen, um erhobene Befunde korrekt einordnen und werten zu können. Wie auch bei elektrophysiologischen Messungen ist zu empfehlen, eigene Labor-interne Normwerte zu generieren, mit denen die bei Patienten erhobenen Werte verglichen werden können; die potenziellen Einflussfaktoren auf Messergebnisse sind zu mannigfaltig, als dass Werte aus unterschiedlichen Labors unkritisch übernommen werden könnten.


 – die Chancen

Der hochauflösende Nervenultraschall alleine kann im Falle von PNP momentan noch keine Diagnose stellen. Er gestattet aber zusätzlich zu den klinischen und elektrophysiologischen Befunden die Erweiterung der diagnostischen Möglichkeiten um eine sehr wertvolle weitere Dimension. Der Nervenultraschall ist eine begeisternde Methode, die nicht nur dem Patienten wegen der nicht-invasiven und schmerzfreien Untersuchung sehr angenehm ist, sondern auch dem Untersucher bereits nach sehr kurzer Zeit sehr viel Spaß machen wird. Sie ist derzeit die einzige Untersuchungstechnik, die die dynamische Darstellung der anatomischen Verhältnisse im peripheren Nervensystem erlaubt, und zwar in Längs- und Querschnitt. Die Untersuchungsmethode gibt einen und erreicht problemlos auch Nervenabschnitte wie Plexus und Nervenwurzeln, die elektroneurografisch praktisch nicht zugänglich sind. Nervenultraschall ist daher auch gut für Verlaufsuntersuchungen nach eingeleiteter Therapie geeignet. Der Nervenultraschall kann bei PNP differenzialdiagnostischwertvolle Hinweise geben, wenn es z. B. um die Frage nach entzündlicher vs. hereditärer PNP geht, um die Differenzierung eines Nerven- vs. Wurzelschadens, oder etwa darum, eine PNP von einer ALS zu unterscheiden. Desweiteren können insbesondere bei Mononeuropathien die oft nicht bedachten nicht-neurologischen Ursachen wie etwa Raumforderungen aus dem umgebenden Gewebe erkannt und entsprechender (chirurgischer) Therapie zugeführt werden . Ein weiteres Einsatzgebiet ist die Erkennung von geeigneten Entnahmestellen für eine Nerven- oder Faszikelbiopsie . In beiden Fällen erleichtert der Nervenultraschall die präoperative Planung, hilft die operative Komplikationsrate zu reduzieren und die diagnostische Treffsicherheit der entnommenen Biopsate zu erhöhen.

https://www.thieme-connect.de/products/ejournals/html/10.1055/s-0042-117504#N68853


AUSBLICK

Die hochauflösende Ultraschalldiagnostik wird in den nächsten Jahren weiter in die PNP-Diagnostik Einzug halten – sowohl bei der Differenzialdiagnostik, als auch bei der Ortung geeigneter Nerven- bzw. Faszikelbiopsiestellen. Bereits die aktuell verfügbaren 12–20 MHz Sonden liefern exzellente Bilder, auf denen man die Struktur und die Umgebung der peripheren Nerven, der Nervenplexus und der Nervenwurzen beurteilen kann. Dies wird durch die ständige Weiterentwicklung der Ultraschallgeräte und ihrer Software künftig noch mehr verbessert werden. Die Ultraschalldiagnostik krankt derzeit noch an der mangelnden Standardisierung. Hier sind in den nächsten Jahren nationale und internationale Leitlinien notwendig, um in der klinischen Routine, aber auch bei wissenschaftlichen Arbeiten die Aussagekraft zu maximieren, während die Fehlerrate reduziert wird. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang auch die Festlegung von Untersuchungsprogrammen, die die zu untersuchenden Nerven und durchzuführenden Messungen an definierten Messorten vorgeben. Zudem ist die strukturierte Ausbildung der Sonografeure/-eusen nach einem Curriculum notwendig, um die Untersuchungsqualität zu steigern. Prospektive, multi-zentrische Studien an großen und gut definierten PNP-Patientengruppen im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen mit gut strukturierten und standardisierten Studienprotokollen, kontrollierter Datenerhebung und verblindeter Datenauswertung durch gut ausgebildete Untersucher und Ausschaltung möglicher externer und interner Einflussfaktoren werden in den nächsten Jahren helfen den hochauflösenden Nervenultraschall noch besser in der Diagnostik von PNP zu verankern.

 

Korrespondenzadresse:

Priv.-Doz. Dr. Nurcan Üçeyler

Neurologische Klinik Universität Würzburg

Josef-Schneider-Straße 11

97080 Würzburg

eMail: ueceyler_n@ukw.de

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