Schlaganfall, Schwindel, Epilepsie: Neuro-Professor über Nervenschäden durch Covid-19

Mittwoch, 22.04.2020, 10:42

Bewusstseinseintrübungen, Schlaganfall, Hirnhautentzündung: Covid-19 scheint das Risiko für neurologische Krankheitsbilder zu erhöhen. Das zumindest legen einige Neupublikationen aus dem Ausland nahe. FOCUS Online hat darüber mit einem Professor für Neurologie gesprochen.

 

In den vergangenen Tagen mehren sich Studien über mögliche neurologische Komplikationen in Folge einer Infektion mit dem neuartigen Coronavirus. Wie Forscherteams aus Straßburg und Wuhan berichten, komme es auffällig häufig zu Schlaganfällen bei schwererkrankten Covid-19-Patienten. Überhaupt zeigten 36,4 Prozent ihrer untersuchten Corona-Probanden „neurologische Symptome unterschiedlicher Art“, schreibt Ling Mao vom Unionsklinikum in Wuhan; darunter Schwindel, Kopfschmerzen, epileptische Anfälle.

 

Seine Kollegen und er hatten die Krankenakten von 214 Corona-Patienten ausgewertet und auf neurologische Begleitsymptome hin abgeklopft. Schädigt Sars-CoV-2 also nicht nur Lunge und Atmungsapparat, sondern auch Nerven und Hirn?

 

„Kein Erreger, der vorrangig das Nervensystem betrifft“

Jein, sagt Frank Erbguth. Der Professor für Neurologie und Ärztliche Leiter der Klinik für Neurologie am Klinikum Nürnberg hält die beschriebenen Beschwerden im Gespräch mit FOCUS Online zwar für denkbar und medizinisch plausibel. Aber richte das Virus nach heutigem Kenntnisstand in der Regel keinen besorgniserregenden Schaden am neurologischen System an. „Wir zählen inzwischen mehr als zwei Millionen bestätigte Infektionen auf der Welt“, erklärt der Mediziner. „Gravierende Beeinträchtigungen des Nervensystems scheinen nach allem, was wir bisher wissen, in der breiten Masse nicht aufzutreten. Das Coronavirus ist kein Erreger, der vorrangig das Nervensystem betrifft.“

Den hohen Prozentsatz von Patienten mit neurologischer Zusatz-Symptomatik, den die Studie aus Wuhan festgestellt haben will, bewertet Erbguth ebenfalls als per se wenig beunruhigend oder verwunderlich.

„Die Rate neurologischer Ausfälle liegt mit 36,4 Prozent ziemlich hoch, aber muss man diese systematisch unterscheiden“ – in unspezifische Begleitbeschwerden wie Bewusstseinsstörungen oder Kopfschmerzen, tatsächliche Angriffe des Erregers auf das Nervensystem und Fälle, in denen das Virus eine Überreaktion des körpereigenen Immunsystems provoziert und ein selbstzerstörerisches Autoimmungeschehen in Gang setzt, bei dem der Körper nicht nur Viren, sondern eigene Nervenzellen bekämpft und angreift.

 

„Am häufigsten sind vermutlich die unspezifischen Begleitbeschwerden“, sagt Erbguth. „Sie sind in aller Regel harmlos, treten – wie bei einer Influenza-Grippe auch – nur temporär auf“ – und erklären einen Großteil der beschriebenen Beschwerden der chinesischen Corona-Patienten. „Nach Abklingen der Infektion verschwinden sie wieder. Langfristige Negativfolgen sind dann nicht zu erwarten“, ordnet der Mediziner ein.

Anders sieht das bei den übrigen beiden symptomatischen Gruppen aus. Attackiert das Virus das Nervensystem oder bekämpft der Organismus aufgrund der beschriebenen Überreaktion auch sich selbst, könne das durchaus ernsthafte Konsequenzen haben. Langzeitschäden seien möglich; ob der geringen Datenmengen allerdings nicht abschließend absehbar, so der Professor.

„Bei einigen Patienten haben sich Lähmungen nach der Veröffentlichung der Daten verbessert. Die Publikationen bilden das aber nicht ab, weil sie derzeit sehr schnell erfolgen. Welche Spätfolgen das Virus also anrichten kann, lässt sich bisher nicht mit Sicherheit sagen. Bis auf wenige Einzelfälle scheinen die neurologischen Einschränkungen jedoch, wenn sie denn überhaupt auftreten, nicht dramatisch zu sein.“

 

Anders sieht das bei den übrigen beiden symptomatischen Gruppen aus. Attackiert das Virus das Nervensystem oder bekämpft der Organismus aufgrund der beschriebenen Überreaktion auch sich selbst, könne das durchaus ernsthafte Konsequenzen haben. Langzeitschäden seien möglich; ob der geringen Datenmengen allerdings nicht abschließend absehbar, so der Professor.

„Bei einigen Patienten haben sich Lähmungen nach der Veröffentlichung der Daten verbessert. Die Publikationen bilden das aber nicht ab, weil sie derzeit sehr schnell erfolgen. Welche Spätfolgen das Virus also anrichten kann, lässt sich bisher nicht mit Sicherheit sagen. Bis auf wenige Einzelfälle scheinen die neurologischen Einschränkungen jedoch, wenn sie denn überhaupt auftreten, nicht dramatisch zu sein.“

 

Covid-19 verdickt das Blut, das steigert das Risiko für Gefäßverschlüsse – und Schlaganfälle

Dass das Schlaganfall-Risiko bei schwer erkrankten Covid-19-Patienten erhöht sein könnte, nennt der Mediziner indes nachvollziehbar und wahrscheinlich. So sende der Körper im Rahmen der Immunabwehr gegen das Virus sowohl Entzündungsbotenstoffe, sogenannte Interleukine, aus als auch D-Dimere – Spaltprodukte, die maßgeblich an einer funktionierenden Blutgerinnung beteiligt sind. „Patienten mit schwerem Covid-19-Verlauf weisen offenbar besonders viele D-Dimere im Blut auf. Der Körper verdickt also ihr Blut“, erklärt Erbguth. „Dass dickeres und zu Verklumpung neigendes Blut zu Gefäßverschlüssen und damit Schlaganfällen führen kann, ist logisch.“

Auch bei anderen schweren Infektionen seien solche erhöhten Schlaganfallzahlen zu beobachten. Eine beunruhigende Sonderstellung des neuen Coronavirus sei diesbezüglich bis dato nicht zu erkennen.

 

Kann Corona Hirnhautentzündungen auslösen?

Auch der Fall eines Mannes aus Japan erregte kürzlich Aufsehen in medizinischen Kreisen; das Coronavirus soll bei ihm nicht zu einer Entzündung in der Lunge, sondern im Gehirn geführt haben. Entsprechende Viren wiesen die Mediziner nicht im Nasen-Rachen-Raum des Japaners nach, sehr wohl jedoch im Nervenwasser. Die naheliegende Vermutung: Sars-CoV-2 kann auch ohne Beteiligung der Lunge das Hirn befallen.

 

Frank Erbguth bewertet diese Möglichkeit allerdings skeptisch; ein negativer Test im Nasen-Rachen-Raum bedeute weder, dass das Virus sich dort zu keiner Zeit eingenistet hätte, noch dass das Virus nicht in der Lunge noch aktiv sei. „Diese These hätte in einem regulären Review-Prozess, der vor Veröffentlichung von Studienergebnisse im Wissenschaftsbetrieb eigentlich üblich ist, hinterfragt werden müssen“, erklärt er. „Zwar kann das Virus unter Umständen zu einer Hirnhautentzündung führen. Dass es aber nur das Gehirn und keine anderen Organe befällt, erachte ich für eine zweifelhafte Behauptung.“

 

Was hinter dem Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns steckt

Ein anderes neurologisches Symptom scheint sich derweil tatsächlich zu häufen: der zumindest zeitweise Ausfall des Riech- und Geschmackssinns. Erstmals beschrieben hatte das schlechte Riechen und Schmecken der Bonner Virologe Hendrik Streeck. Im Rahmen seiner viel zitierten Feldforschung im nordrheinwestfälischen Kreis Heinsberg hatte er bei gut einem Drittel der untersuchten Corona-Kranken eine Einschränkung in diesem Bereich festgestellt. „Dass die Patienten nichts schmecken, hängt dann mit dem Nicht-Riechen zusammen“, erläutert Neurologe Erbguth den Mechanismus dahinter.

„Für die Nuancen beim Schmecken ist im Kern kein eigener Nerv zuständig, sondern primär der Riechsinn, dessen Nervenfasern von der Nase durch den Schädelknochen in den vorderen Gehirnteil reichen. Bei einer Coronavirus-Infektion scheint es so zu sein, dass sich diese Riechfäden entzünden – und zeitweise nur eingeschränkt oder überhaupt nicht mehr funktionieren.“

Von der anfänglichen Erklärung, dass Schleim im Nasentrakt die Riechfäden verkleben und so in ihrer Funktion hemmen könnte, sei man mittlerweile abgerückt, ergänzt Erbguth. Denn die meisten Corona-Infizierten zeigen zum Zeitpunkt, an dem das Riechen schon nachlässt, noch keine verstopfte Nase.

Quelle:

https://www.focus.de/gesundheit/news/schlaganfall-schwindel-epilepsie-neuro-professor-ueber-nervenschaeden-durch-covid-19_id_11906001.html?fbclid=IwAR1iqWczs582QQP2HQ6ApkG_Xeg8g9y2ZYJFoS8iatpLhUB1sktzzccJ3Qc


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